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Gelebt, erlebt, überlebt von Gertrude Pressburger

Erst mit neunzig Jahren ist Gertrude Pressburger in der Lage, ihre Erlebnisse während der Nazizeit zu erzählen. Sie tut dies, “weil sie nicht zurückgekommen ist, um das noch einmal zu erleben“.

Sie schildert einer jungen Journalistin ihre Kindheit in Wien und die Jahre, in denen ihre Familie ständig auf der Flucht war, in Kroatien, in Slowenien, Italien, in der Tschechoslowakei. Nirgends durften sie lange bleiben, sie lebten in Armut und alles was sie noch besaßen, trugen sie in ein paar Koffern mit sich. Aber, es war noch ein Stück Normalität, die Familie war zusammen.

Und dann passiert es doch – sie werden in einen Zug verladen und nach Auschwitz transportiert. Die vierzehnjährige Gertrude wird als arbeitsfähig eingestuft, die Mutter und ihre beiden Brüder werden sofort vergast, der Vater stirbt wenig später in einem anderen Lager. Gertrude, ein Kind noch, bleibt allein zurück in nicht vorstellbarer Angst und Einsamkeit.

Gertrude Pressburger erzählt fast sachlich, sie erlaubt sich wenig Emotionen, geht auf Distanz zu ihrem eigenen Inneren. Und niemand von uns, die wir diese Gräuel nicht erleben mussten, kann wohl nachvollziehen, was Angst, Hunger und Hoffnungslosigkeit mit den Menschen gemacht haben. Wir können nicht ermessen, was es mit einem Menschen macht, der gedemütigt und gequält wird, alle Kraft, die überhaupt noch irgendwo da ist, braucht man für das Überleben.

Und Gertrude Pressburger überlebt, sie bleibt einige Jahre in Schweden, bevor sie tatsächlich nach Österreich zurückgeht, wo sie von Onkel und Tante aufgenommen wird. Sie bekommt eine Anstellung, lernt ihren Mann kennen und die Tochter wird geboren, ein großes Glück für Gertrude.

Aber in all den Jahren findet sie niemanden, der mal fragt,: wie ist es dir ergangen, wie war es, als ihre auf der Flucht wart, wie hast du überlebt? Niemand interessiert sich dafür, keiner will was davon hören. Und als sie mit einem Cousin darüber sprechen will, glaubt er ihr nicht.

Gertrude schweigt also und bricht ihr Schweigen erst, als sie mit Entsetzen wahrnimmt, wie die Politik in Österreich (und anderswo) sich wieder nach rechts wendet. Sie bricht ihr Schweigen und erzählt, damit wir Jüngeren hinhören, aufmerksam werden und hoffentlich aus dem lernen, was uns Gertrude Pressburger erzählt. Für ein „Wehret den Anfängen“ ist es wohl schon zu spät, aber es ist nie zu spät „Nein“ zu sagen.

 

Gelesen von Marlies Marquardt

Kategorie: Sachbuch